Brexit und Banken – Was nun?

Englische Institute müssen kontinentaleuropäische Aktivitäten ebenso neu strukturieren wie Häuser aus der EU im Vereinigten Königreich

Am 24. Juni 2016 um 8.30 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit wurde es offiziell: 51,9 % der Wähler votierten für den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union. Dieses Votum ist rechtlich noch keine Austrittserklärung. Doch die britische Regierung wird diesen Volksentscheid nicht ignorieren können. Die Austritts­verhandlungen haben zwar noch nicht begonnen und deren mögliches Ende und Ergebnis sind noch völlig offen. Es ist jedoch sehr unwahrscheinlich, dass ein Zugang zum Binnenmarkt ohne Anerkennung der EU-Standards gewährt wird, von denen sich die Brexiteers ja gerade lösen wollten.

Als Drittstaat

Damit hätte das Vereinigte Königreich den offiziellen Status eines sogenannten Drittstaats, also eines Staats, der weder Mitglied der EU noch des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ist. Banken und Wertpapierdienstleistungsunternehmen (Institute) aus Drittstaaten kommen weder in den Genuss der Niederlassungsfreiheit noch der Dienstleistungsfreiheit unter den sogenannten europäischen Pässen. Englische Institute müssen daher ihre kontinentaleuropäischen Aktivitäten neu strukturieren (wie übrigens auch die Institute aus EU-Mitgliedstaaten ihre Aktivitäten im Vereinigten Königreich). Betroffen sind nicht nur Institute englischen Ursprungs, sondern auch Unternehmensgruppen aus anderen Drittstaaten (zum Beispiel USA), die ihre Londoner Tochter nutzen, um von dort aus in den anderen Mitgliedstaaten Bank- und Finanzdienstleistungsgeschäfte zu betreiben. Laut Börsen-Zeitung vom 28. Juni 2016 ist hiervon etwa jede dritte in Deutschland tätige Auslandsbank betroffen.

Soll eine physische Präsenz in Deutschland beibehalten werden, so bestehen hierfür die folgenden Optionen: Entweder beschränkt sich die Niederlassung in Zukunft auf das Betreiben nicht regulierten Geschäfts, etwa in Form einer Repräsentanz, die jedoch noch nicht einmal vermittelnd für das englische Institut tätig werden darf und daher recht unattraktiv sein dürfte.

Oder aber es wird eine eigene deutsche Erlaubnis beantragt. Hierfür kommen in Frage die Erlaubnis als Zweigstelle eines Drittstaatenunternehmens (wie sie bereits von zahlreichen Banken aus den USA, Asien oder dem Mittleren Osten in Deutschland unterhalten werden) oder die Umwandlung in eine deutsche Tochter mit eigener Erlaubnis. Der Aufwand für jede der beiden Optionen ist in etwa vergleichbar: Es muss nicht nur ausreichend Eigenkapital zur Verfügung gestellt, sondern insbesondere auch eine angemessene Organisation aufgebaut werden, mit eigenem Risikomanagement und -controlling.

Der Vorteil der deutschen Tochter wäre, dass nur diese in den Genuss der europäischen Pässe kommt und von dort aus das gesamte EU-Geschäft bedient werden könnte. Der Vorteil der Zweigstellenlösung wäre die Vermeidung einer aufwendigen Übertragung des bisherigen Geschäftsbetriebs. Der große Aufwand entsteht, vor allem bei Banken mit umfangreichem Privatkundengeschäft, insbesondere durch die Sperrigkeit des englischen Rechts, welches eine geschmeidige Umwandlung mit Gesamtrechtsnachfolge in Deutschland sehr schwierig, wenn nicht unmöglich macht.

Rückstufung als Option

Für Banken käme als dritte Option die Rückstufung auf eine reine Vermittlungsgesellschaft in Betracht, die je nach Art des vermittelten Geschäfts einer Erlaubnis als Finanzdienstleistungsinstitut bedürfte, die weniger hohe Ansprüche stellt als eine Bankerlaubnis. Diese Vermittlungsgesellschaft wäre auf Anbahnung und Unterstützung von Bankgeschäften für die englische Mutter beschränkt, welche diese Geschäfte als "Booking Center" buchen müsste.

Sollte das englische Institut seine deutsche Präsenz auflösen (und sich auf grenzüberschreitende Bankgeschäfte beschränken) oder zu einer reinen Vermittlungsgesellschaft herunterstufen, wäre eine Freistellung durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) erforderlich. Denn sowohl die grenzüberschreitende Ansprache des deutschen Marktes (etwa über das Internet, per E-Mail, Post, Fax etc.) als auch das Marketing in Deutschland über einen für die das englische Institut tätigen Vermittler ist grundsätzlich erlaubnispflichtig. Die BaFin hat bislang auf deren Antrag nicht nur verschiedene in Deutschland ansässige Unternehmen (zum Beispiel Treuhandgesellschaften, Energieversorger, Einkaufsgenossenschaften), sondern auch zahlreiche ausländische (vornehmlich Schweizer, aber auch amerikanische, kanadische und australische) Institute von einer Erlaubnispflicht freigestellt. Voraussetzung ist jeweils, dass wegen der Art der betriebenen Geschäfte kein Aufsichtsbedürfnis besteht. Ausländische Institute müssen daher in ihrem Heimatland effektiv nach internationalen Standards von Behörden beaufsichtigt werden, die mit der BaFin befriedigend zusammenarbeiten.

Die Ansprache von Privatkunden ist allerdings nur über ein EU-Kreditinstitut zulässig, das als Vermittler eingeschaltet werden müsste; eine Ausnahmeregelung gibt es diesbezüglich nur für Schweizer Banken nach dem sogenannten vereinfachten Freistellungsverfahren. Institutionelle Kunden (Bund, Länder und Kommunen, BaFin-regulierte Unternehmen sowie mittelgroße und große Kapitalgesellschaften) können dagegen auch direkt oder über die vorgenannte Vermittlungsgesellschaft angesprochen werden.

Schon bald verdrängt

Hierbei ist zu beachten, dass die nicht auf EU-Regeln basierenden Strukturierungsmaßnahmen, nämlich die Drittstaatenzweigstelle und das Freistellungsverfahren, schon bald zumindest teilweise durch europäische Vorgaben überlagert beziehungsweise verdrängt werden. So sieht etwa MiFID II (2. EU-Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente) vor, dass Drittlandfirmen bereits ab 2018 in jedem Mitgliedstaat eine Zweigniederlassung für die dortige Erbringung von Wertpapierdienstleistungen an Kleinanleger und gekorene professionelle Kunden (zum Beispiel erfahrene und vermögende Privatanleger) errichten müssen, falls dies von dem jeweiligen Mitgliedstaat verlangt wird. Diese Zweigniederlassung muss bestimmte EU-Standards erfüllen, erhält aber für diese Kundengruppen ihrerseits keinen EU-Pass. Ein solcher EU-Pass ist nur für geborene professionelle Kunden und geeignete Gegenparteien (also insbesondere institutionelle Anleger) verfügbar, nachdem die Europäische Kommission in einem Gleichwertigkeitsbeschluss festgestellt hat, dass in dem jeweiligen Drittstaat gewisse EU-Standards eingehalten werden. In diesem Fall können unter weiteren, in der Mifir (EU-Verordnung über Märkte für Finanzinstrumente) genannten Voraussetzungen für die letztgenannten Kundengruppen auch Wertpapierdienstleistungen grenzüberschreitend ohne Zweigniederlassung erbracht werden.

Deutsche Tochter

Will man also eine auf absehbare Zeit zulässige Struktur für den Zugang zum deutschen Markt errichten, von der aus gegebenenfalls Geschäfte auch in anderen Mitgliedstaaten betrieben werden können, so spricht vieles für die Gründung einer deutschen Tochtergesellschaft, sofern der Geschäftsplan die entstehenden zusätzlichen Kosten rechtfertigt.

Keine Erlaubnispflicht in Deutschland besteht für Bank- und Finanzdienstleistungsgeschäfte, die außerhalb der Bundesrepublik auf ausschließlichen und ausdrücklichen Wunsch des Kunden erbracht werden. Diese sogenannte passive Dienstleistungsfreiheit ist jedoch kein Geschäftsmodell! Nur Institute, die ihr deutsches Geschäft aus dem Vereinigten Königreich weiter betreiben wollen, aber auf die Gewinnung von Neukunden verzichten, können mit diesem Ansatz leben.

Will sich das englische Institut also nicht völlig vom deutschen Markt verabschieden, sollte es jetzt mit der Analyse alternativer Geschäftsmodelle beginnen, um die für sich beste Struktur zu finden. Alle Modelle haben gemeinsam, dass sie einer gewissenhaften Vorbereitung und eines anschließenden Erlaubnis- beziehungsweise Freistellungsprozesses bedürfen. Solche Verfahren dauern erfahrungsgemäß zumindest zwölf Monate, in den Fällen der Bankerlaubnis (seit Einbeziehung der EZB) noch deutlich länger. Thomas Paul

(veröffentlicht in der Börsenzeitung vom 2. Juli 2016 unter dem gleichen Titel)