Covid-19 aktuell

Staatliche Beihilfen in der Coronakrise

Die Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 erfordert schnelles, ent­schlos­se­nes staatliches Handeln. Konjunkturhilfen, Notfallprogramme und staatliche finanzielle Unterstützungen müssen beihilferechtskonform ausgestaltet werden. Die Europäische Kommission hat kurzfristig Programme zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen des Coronavirus1 und temporäre Maßnahmen aufgesetzt, um die Maßnahmen der EU-Mitgliedstaaten zu erleichtern.

Am 12. März 2020 genehmigte die Kommission eine erste staatliche Beihilfe zu Auswirkungen des Coronavirus, konkret für Eventveranstalter in Dänemark (SA.56685)2. Die Entscheidung zeichnet den Weg für weitere Maßnahmen vor. Erstens hat die Kommission die staatliche Beihilfe binnen 24 Stunden genehmigt und damit ein Zeichen für die zu er­wartende kooperative, schnelle Bearbeitung von Beihilfenotifizierungen gesetzt. Zweitens hat die Kommission eine Legalausnahmeregelung angewendet, die auch zuvor nur in ex­tremen Ausnahmesituation zur Anwendung kam, insbesondere nach den Terroranschlägen im September 2001 und der Sperrung des Luftraums wegen des Ausbruchs des Vulkans Eyjafjallajökull im Jahr 2010. Eine generelle Nichtanwendung des EU-Beihilferechts zog die Kommission – wie schon in der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise 2008/2009 – nicht in Betracht. Diese würde zudem eine Änderung des EU-Vertrages erfordern. Auch Deutschland hat mit dem „Solidaritätsfonds“ sein erstes Konjunkturhilfen-Paket auf den Weg gebracht.

Die Kommission veröffentlichte seit dem 10. März 2020 kurzfristig Unterlagen zur Anwendung und Auslegung des EU-Beihilferechts im Zusammenhang mit der Coronakrise, insbesondere:

  • einen Vorübergehenden Gemeinschaftsrahmen (Temporary Framework for State aid measures to support the economy in the current COVID-19 outbreak)3. Der Gemeinschaftsrahmen ermöglicht unter anderem (i) direkte Zuschüsse bis zu 800.000 Euro, (ii) staatliche Garantien für Bankdarlehen bis zu 25 % des Jahresumsatzes des Kreditnehmers und (iii) vergünstigte Zinsdarlehen der öffentlichen Hand. Die Kommission wird abweichend von den Rettungs- und Umstrukturierungsleitlinien4 hierunter auch staatliche Beihilfen an Unternehmen genehmigen, die erst durch die Coronakrise in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind;
  • eine Übersicht dazu, wie die EU-Mitgliedstaaten im Rahmen bestehender Regelungen Liquiditätshilfen ermöglichen können,5 und
  • eine Handreichung zur Anwendung der beihilferechtlichen Ausnahme für außergewöhnliche Umstände6 zur Kompensation für direkt im Zusammenhang mit der Ausbreitung des Coronavirus stehende Schäden.

I.    Europäischer Rechtsrahmen

Die Kommission wendet im Zusammenhang mit dem Coronavirus zwei Ausnahmen vom Beihilfeverbot des Art. 107 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) an:

  • Die Legalausnahme für Schadenskompensationen (Art. 107 Abs. 2 lit b) AEUV): Danach sind staatliche Beihilfen zur Beseitigung von Schäden, die durch Natur­ka­ta­strophen oder sonstige außergewöhnliche Ereignisse entstanden sind, mit dem Binnenmarkt vereinbar. Der Betrag der staatlichen Beihilfe ist beschränkt auf die Schadenskompensation. Es können nur solche Schäden ersetzt werden, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Ereignis stehen. In der Handreichung zur Anwendung der beihilferechtlichen Ausnahme für außergewöhnliche Umstände listet die Kommission insbesondere für den Transportsektor (s. Annex I zu der Hand­reichung) detaillierte Anforderungen, unter welchen Umständen welche Schäden ersetzt werden können, angelehnt an eine Entscheidung aus 2011 zu staatlichen Beihilfen u.a. an Fluggesellschaften aus Slowenien in Reaktion auf den Eyjafjallajökull-Ausbruch im Jahr 20107. Die Maßnahmen sind der Kommission zu notifizieren, die Kommission hat im Weiteren aber kein Ermessen. Die o.g. erste Beihilfeentscheidung der Kommission im Zusammenhang mit dem Coronavirus für Eventveranstalter in Dänemark basiert auf dieser Rechtsgrundlage.
  • Die Ermessensausnahme für beträchtliche Störungen im Wirtschaftsleben (Art. 107 Abs. 3 lit b) Alt. 2 AEUV): Danach können staatliche Beihilfen zur Be­hebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen werden. Diese staatlichen Beihilfen dürfen auch indirekte Folgen der Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaates umfassen und gehen daher über die Legalausnahme zur Schadenskompensation hinaus. Ihre Genehmigung steht im Ermessen der Kommission („balancing test“) und belässt der europäischen Ebene daher größeren Einfluss auf das Handeln der Mitgliedstaaten. Auf dieser Ausnahme beruht der Vorübergehende Gemeinschaftsrahmen (Temporary Framework for State aid measures to support the economy in the current COVID-19 outbreak) und hierunter wird die Kommission voraussichtlich weitere Konjunkturhilfen-­Programme der EU-Mitgliedstaaten prüfen und genehmigen.  

Nicht angewandt hat die europäische Ebene im Zusammenhang des Coronavirus bislang eine weitere Ausnahmeregelung, einen Beschluss des Ministerrats nach Art. 108 Abs. 2 UAbs. 3 AEUV. Danach kann der Rat auf Antrag eines Mitgliedsstaats – einstimmig – eine drohende Untersagungsentscheidung der Kommission „außerkraftsetzen“, wenn außergewöhnliche Umstände einen solchen Beschluss rechtfertigen. In diesen Fällen liegt die Beihilfenaufsicht über die Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt ausnahmsweise nicht bei der Kommission, sondern beim Rat. Die Regelung ist als Ausnahme eng auszulegen. In der Vergangenheit gab es keine (veröffentlichten) entsprechenden Beschlüsse des Rates und auch aktuell haben die EU-Institutionen diesen Weg vorerst nicht beschritten.


II.    Legalausnahme für Schadenskompensationen

Als ein außergewöhnliches Ereignis (Art. 107 Abs. 2 lit b) AEUV) hat die Kommission in der jüngeren Vergangenheit insbesondere folgende Fälle eingestuft:

  • Die Terroranschläge vom 11. September 2001 sowie die anschließende Sperrung des US-Luftraums8
    • Die Kommission hatte hierzu die Mitteilung „Die Folgen der Attentate in den Vereinigten Staaten für die Luftverkehrsbranche“ veröffentlicht.9 Sie erachtete darin etwa Betriebsbeihilfen für Versicherer, die erhebliche finanzielle Belastungen durch die Terroranschläge hatten, als von der Legalausnahme gedeckt.
    • Die Kommission sagte ferner eine kooperative, rasche Prüfung der Maßnahmen zur Entschädigung für Verluste, die den Fluggesellschaften während der viertägigen Sperrung des amerikanischen Luftraums oder in unmittelbarem Zusammenhang damit entstanden sind, im Rahmen der staatlichen Beihilfen und unter Zugrunde­legung der angeführten Kriterien zu.
    • Zudem genehmigte die Kommission einen Ausfallfonds, der zur Entschädigung ­britischer Airlines für die Ausfälle infolge der viertägigen Luftraumsperre eingerichtet wurde.10
  • Im Kontext der Tierseuche BSE um das Jahr 2000 sowie anlässlich dioxinverseuchter Futtermittel im Jahr 2008 genehmigte die Kommission staatliche Beihilfen zum Ausgleich von Schäden, weil deren Ursache außerhalb der betreffenden Industrien lag.
  • Einen Richtungswechsel hat die Kommission bei der Einordnung von Tierseuchen und Pflanzenkrankheiten vorgenommen. Diese hatte sie früher als außergewöhnliche Er­eignisse im Sinne der Legalausnahme behandelt, prüft sie künftig im Agrarsektor jedoch anhand der Ermessensausnahmeregelung.


III.    Ermessensausnahme für beträchtliche Störungen im Wirtschaftsleben

Staatliche Beihilfen zur „Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats“ können nach Art.107 Abs. 3 lit b) Alt. 2 AEUV als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen werden. Diese Ausnahmeregelung wendete die Kommission insbesondere in der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise an.

  • Der Ausbruch und die Vertiefung der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise 2008 ver­anlasste die Kommission, rasch zu reagieren und Instrumente zu schaffen, die den Mitgliedstaaten die notwendigen Handlungsspielräume beließen. Die Kommission prüfte und genehmigte Maßnahmen sowohl für die Realwirtschaft als auch für den Finanzsektor. Für den Finanzsektor hat die Kommission in diesem Zuge mehrere Mitteilungen veröffentlicht, die auch heute zur Orientierung dienen können. Das Kri­terium „beträchtliche Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats“ ist danach eng auszulegen. Die Kommission sieht es jedoch derzeit in allen EU-Mitgliedstaaten als gegeben an.11
  • Zu den genehmigungsfähigen Maßnahmen im Finanzsektor gehörten etwa Garantien zur Absicherung von wertgeminderten Aktiva, Maßnahmen zur Rekapitalisierung von Finanzinstituten, kontrollierte Liquidationen von Finanzinstituten und Bereitstellung von Liquiditätshilfen. Die Kommission konkretisierte die Rechtsanwendung in der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise in vier Mitteilungen (Bankenmitteilung, Rekapitalisierungsmitteilung, Risikoaktivamitteilung, Umstrukturierungsmitteilung).
  • Die damals angelegten und von den Rettungs- und Umstrukturierungsleitlinien ab­weichenden Kriterien zur Prüfung – die auch in der Zukunft möglicherweise wieder den Weg weisen können – lassen sich wie folgt zusammenfassen:
    • Rettung als Beitrag zur Überwindung der Krise,
    • Beschränkung auf das gebotene Minimum / Beschränkung der Wettbewerbsver­zerrung auf das erforderliche Maß,
    • der Beihilfenempfänger muss kein Unternehmen in Schwierigkeiten sein (aber Unterscheidung endogene / exogene Schwierigkeiten; für Unternehmen, die zuvor schon in Schwierigkeiten waren, gelten strengere Vorgaben etwa in Bezug auf ­Ausgleichsmaßnahmen),
    • Strukturelle Kapitalmaßnahmen möglich (auch ad hoc), bei exogenen Schwierigkeiten auch ohne Umstrukturierung, weil der Empfänger im Grunde „gesund“ ist (dann nur Darstellung Lebensfähigkeit, Exit Strategie),
    • die Höhe des Eigenbeitrags („burden sharing“) ist nicht festgelegt,
    • „One time , last time“ gilt hier ausnahmsweise nicht, sowie
    • Rettungsbeihilfeentscheidungen innerhalb von 24-Stunden
    • (wie auch in der ersten Corona-Beihilfeentscheidung).
Fussnoten

1. Kommission, Pressemitteilung IP/20/440 v. 10.3.2020.
2. Kommission, Entscheidung v. 12.3.2020, SA.56685 – Compensation scheme for cancellation of events related to COVID-19.

3. Kommission, Mitteilung v. 19.3.2020, Temporary Framework for State aid measures to support the economy in the current COVID-19 outbreak, C (2020) 1863 final, abrufbar unter https://ec.europa.eu/competition/state_aid/what_is_new/sa_covid19_temporary-framework.pdf.
4. Leitlinien der Union für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, ABl. EU 2014 C 249/1.
5. Abrufbar unter https://ec.europa.eu/competition/state_aid/what_is_new/state_aid_liquidity_support.pdf.
6. Abrufbar unter https://ec.europa.eu/competition/state_aid/what_is_new/Notification_template_107_2_b_PUBLICATION.pdf.
7. Kommission, Entscheidung v. 1.8.2011, SA.32163 – Slovenia – Rectification of consequences of the damage caused to air carriers and airports by earthquake activity in Iceland and the resulting volcano ash in April 2010, abrufbar unter https://ec.europa.eu/competition/state_aid/cases/238917/238917_1316971_59_2.pdf.
8. EuG, Urteil vom 25.06.2008, Az. T-268/06.
9. Kommission, Mitteilung v. 10.10.2001, COM(2001) 574 final – The repercussions of the terrorist attacks in the United States on the air transport industry.
10. Kommission, Entscheidung v. 12.3.2002, N854/2001 – Aid to airlines for closure of airspace.
11. Vgl. Kommission, Pressemitteilung v. 19.3.2020, IP/20/496, abrufbar unter: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_20_496.