Deutschland verschärft die außenwirt­schafts­rechtliche Investitionsprüfung

Der Bund intensiviert anlässlich der Covid-19-Pandemie in beschleunigten Gesetz­gebungs- und Verordnungs­verfahren zum Außen­wirtschafts­gesetz (AWG) und zur Außen­wirtschafts­verordnung (AWV) die außen­wirtschafts­­rechtliche Prüfung ausländischer Investitionen. Die melde­pflichtigen Bereiche sollen insbesondere auf kritische Techno­logien deutlich ausgeweitet werden. Der Prüfmaßstab wird auf voraussichtliche Beein­trächtigungen der öffent­lichen Ordnung oder Sicherheit herabgesetzt und um Belange anderer EU-Mitglied­­staaten und der EU erweitert. Im sektor­über­greifenden Bereich ist die Freigabe für sensitive Erwerbe künftig Vollzugs­erfordernis. Bis zur Freigabe sind faktische Vollzugs­­maßnahmen einschließlich der Weiter­gabe sensibler Informationen verboten und können straf­rechtlich sanktioniert werden. Die geplanten Verschärfungen der Investitions­prüfung betreffen sowohl Investitionen in große Unternehmen als auch KMUs und Start-ups und werden Prüffall­zahlen und -intensität deutlich erhöhen. Die Auswirkungen auf die Trans­aktions­praxis sind erheblich und werden auch davon abhängen, wie der Bund die neuen Regelungen in einer schon angekündigten weiteren AWV-Reform ergänzt.

AWG-Novelle

Die AWG-Novelle greift durch die EU-Screening-Verordnung (EU) 2019/452 eröffnete Regelungsspielräume auf. 

  • Der Prüfmaßstab der „voraussichtlichen Beeinträchtigung“ der öffentlichen ­Ordnung oder Sicherheit tritt an die Stelle der bislang erforderlichen „tatsächlichen und schweren Gefährdung“. Der Beurteilungsspielraum des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) wird damit deutlich erhöht.
  • Der Prüfbereich wird auf Sicherheitsinteressen anderer EU-Mitgliedstaaten und bestimmte EU-Projekte und -Programme erweitert, so dass das Schutzgut „öffentliche Ordnung oder Sicherheit“ nicht mehr auf die deutsche Perspektive beschränkt ist.
  • Der Bund richtet beim BMWi – wie andere EU-Mitgliedstaaten – eine ­Nationale Kontaktstelle für den EU-weiten Kooperationsmechanismus nach der EU-Screening-Verordnung ein.

Künftig sind alle meldepflichtigen Erwerbe im sektorübergreifenden Bereich bis zum Abschluss des Investitionsprüfverfahrens schwebend unwirksam. Sie unterliegen also einem gesetzlichen Vollzugsverbot und müssen freigegeben werden. Dies betrifft etwa Unternehmenserwerbe in den Bereichen kritische Infrastrukturen (Energie, Wasser, Ernährung, IT/TK, Finanz- und Versicherungsbereich, Gesundheit, Transport und Verkehr), bestimmte branchenspezifische Software und breitenwirksame Medienhäuser. Mit der AWV-Novelle wird der Anwendungsbereich des Vollzugsverbots noch erheblich ausgeweitet (s. AWV-Novelle).

Das Vollzugsverbot bis zur Freigabe galt bislang nur im sektorspezifischen Prüfbereich, also insbesondere für Herstellung und Entwicklung von Rüstungsgütern und bestimmten zertifizierten IT-Produkten für staatliche Verschlusssachen. Die AWG-Novelle er­weitert zudem den Anwendungsbereich der sektorspezifischen Prüfung auf Unternehmen, die Rüstungsgüter (lediglich) „modifizieren“ oder die „tatsächliche Gewalt“ über solche Güter haben. Erfasst sind auch Unternehmen, die dies in der Vergangenheit getan haben und noch über entsprechende Kenntnisse verfügen. 

Für meldepflichtige Akquisitionen sieht die AWG-Novelle neue straf- und bußgeldbewehrte Gun-Jumping-Verbote vor. Danach darf die Verkäuferseite dem Erwerber vor Abschluss der Investitionsprüfung weder Stimmrechte oder Gewinnansprüche verschaffen noch sensible Informationen des erworbenen Unternehmens offenlegen. Wortlaut und Begründung der AWG-Novelle konturieren die sachliche und zeitliche Reichweite des Informationsaustauschverbots nur wenig praxistauglich.

Erstmals werden die Prüffristen im Gesetz geregelt (§ 14a AWG n.F.). 

  • Die Prüffristen betragen jetzt einheitlich für alle sektorübergreifenden und -spezifischen Verfahren zwei Monate für die Vorprüfung sowie grundsätzlich weitere vier Monate ab Einreichung der bei Eröffnung des Hauptprüfverfahrens angeforderten Informationen für das vertiefte Prüfverfahren (Hauptprüfverfahren). Bei Aufhebung oder Änderung der Prüfentscheidungen durch das BMWi oder gerichtliche Entscheidung beginnt ein neuer Fristlauf.
  • Das BMWi kann die 4-Monatsfrist für das Hauptprüfverfahren bei besonderen tat­sächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten um drei Monate verlängern. Die Prüffrist kann um einen weiteren Monat verlängert werden, wenn das Bundesministerium der Verteidigung geltend macht, dass durch die Transaktion deutsche Verteidigungsinteressen besonders berührt sind. 
  • Die Prüffrist für das Hauptprüfverfahren ist gehemmt, wenn das BMWi nach Eröffnung des Hauptprüfverfahrens weitere Informationen anfordert oder mit den Transaktionsbeteiligten eine Sicherheitsvereinbarung verhandelt. Bisher setzte eine neue Informationsanforderung die Prüffrist neu in Gang.
  • Die neuen Prüffristregelungen gelten für Transaktionen, von denen das BMWi nach dem Inkrafttreten der AWG-Novelle Kenntnis erlangt (Prüffristen-Übergangs­regelung).

Das neue AWG trat am 17. Juli 2020 in Kraft.

AWV-Novelle

Die von der Bundesregierung beschlossene 15. AWV-ÄndV weitet die meldepflichtigen Bereiche auf kritische Dienstleistungen für staatliche Kommunikationsinfrastrukturen sowie anlässlich der Covid-19-Pandemie auf weitere Gesundheits- und Forschungsbereiche aus. Dies betrifft insbesondere Entwicklung und Herstellung von 

  • persönlicher Schutzausrüstung,
  • für die Gesundheitsversorgung „wesentlichen Arzneimitteln“ und deren Ausgangs- und Wirkstoffen (zudem sind neben dem arzneimittelrechtlichen Zulassungsinhaber auch Unternehmen erfasst, die die vorgenannten Arzneimittel und Stoffe in den Verkehr bringen), sowie
  • Medizinprodukten und In-vitro-Diagnostika zur Nutzung im Zusammenhang mit lebensbedrohlichen und hochansteckenden Infektionskrankheiten.

Gestrichen wurde in den Beratungen der Bundesregierung die vom BMWi vorgeschlagene Erstreckung der Meldepflicht bei Erwerben von Unternehmen mit weiteren Vertriebs­aktivitäten sowie vorgelagerten Produkten und Dienstleistungen. 

Darüber hinaus stellt die 15. AWV-ÄndV klar, dass Asset-Deals von der Investitions­prüfung erfasst sind. Bei der Prüfung der Risiken für die öffentliche Ordnung oder Sicher­heit soll das BMWi künftig auch bestimmte investorspezifische Prüffaktoren berücksichtigen, z.B. ob der Erwerber der Kontrolle durch ausländische Regierungen unterliegt (z.B. aufgrund einer „über ein geringfügiges Maß“ hinausgehenden staatlichen Finanzausstattung) sowie das „erhebliche Risiko“ bestimmter Straf- oder Ordnungs­widrigkeitstaten des Erwerbers.

Von der Prüffristen-Übergangsregelung abgesehen, enthalten die AWG- und die AWV-­Novelle – wie frühere Änderungen – keine Übergangsregelungen für schon abgeschlossene oder laufende Transaktionen oder laufende Prüfverfahren.

Angekündigte weitere AWV-Novelle

Mit einer weiteren AWV-Novelle (16. AWV-ÄndV), deren Entwurf voraussichtlich in den kommenden Monaten in die Anhörung gehen soll, will der Bund die im neuen AWG angelegten Verschärfungen in der AWV implementieren. Voraussichtlich werden sich Meldepflicht und Vollzugsverbot auch auf Transaktionen in Hochtechnologie-Bereichen (Künstliche Intelligenz, Robotik, Halbleiter-, Bio- und Quantentechnologien) er­strecken. 

Trend zu verschärften Investitionsprüfungen

Die Verschärfungen in Deutschland folgen einem globalen Trend zu intensivierten ­Investitionsprüfungen. Änderungen ihrer Prüfverfahren haben zuletzt z.B. China, ­Kanada, Aus­tralien, Neuseeland und Südafrika sowie das Vereinigte Königreich, Frankreich, Italien, Spanien, die Niederlande, Polen und Ungarn vorgenommen oder initiiert. Inner­halb der EU gehört das deutsche Verfahren – gemeinsam mit den Verfahren in Frankreich und Italien – tendenziell zu den weitreichendsten und intensivsten. 

Die Europäische Kommission hat vor dem Hintergrund der Covid-19-Pandemie die EU-­Mitgliedstaaten mit Leitlinien zur EU-Screening-Verordnung vom 25. März 2020 dazu aufgerufen, bereits etablierte nationale Investitionsprüfverfahren zum strategischen Schutz kritischer Infrastrukturen, Anlagen und Technologien vollumfänglich zu nutzen und im Fall fehlender Prüfmöglichkeiten umfassende Prüfverfahren einzuführen sowie zwischenzeitlich alle anderen verfügbaren staatlichen Eingriffsmöglichkeiten anzuwenden. Sie regte zudem an, bereits vor Wirksamwerden des Kooperationsmechanismus der EU-Screening-Verordnung im Oktober 2020 informelle Informations- und Kooperationsmechanismen zu laufenden Investitionsprüfverfahren zu etablieren. 

Ausblick

Schon in den vergangenen Jahren war eine Intensivierung der Investitionsprüfungen zu verzeichnen. Zugleich trüben Transaktionsunsicherheit, erstmalig eingeführte Straftatbestände und lange Verfahrensdauern das Investitionsklima und die Standort­attraktivität auch für Akquisitionen, die unter Sicherheitsaspekten unkritisch sind. Umso wichtiger ist es, die Prüfverfahren gut vorzubereiten und zu führen und ggf. parallele Verfahren in verschiedenen Ländern zu koordinieren. Die adäquate Berücksichtigung von Investitionsprüfthemen in den Transaktionsverträgen wird ein zentraler Trans­aktionsbestandteil bleiben und an Bedeutung noch gewinnen.