Beschleunigte Schiedsverfahren könnten Nebenwirkungen haben

Neue Regelungen der Internationalen Handelskammer


– Carsten van de Sande, Börsen-Zeitung vom 25.02.2017 –

In internationalen oder grenz­über­schreiten­den Verträgen ist die Schieds­gerichts­barkeit nach wie vor der bei Weitem am Häufigsten gewählte Konflikt­lösungs­mechanismus.

Als Vorzüge der Schiedsgerichts­barkeit werden insbesondere die welt­weite Voll­streck­barkeit von Schieds­sprüchen, die Flexi­bilität der Verfahrens­gestaltung und die Möglich­keit der Parteien genannt, die Schieds­richter selbst auszu­wählen. Einer der am häufigsten genannten Kritik­punkte dagegen ist die lange Dauer von Schieds­verfahren.

Um dieser Kritik zu begegnen, hat der Inter­nationale Schieds­gerichts­hof (International Court of Arbitration) der Inter­nationalen Handels­kammer (International Chamber of Commerce – ICC) mit der jüngsten Über­arbeitung seiner Schieds­gerichts­ordnung, die am 1. März 2017 in Kraft tritt, erstmals Regelungen für beschleunigte Schieds­verfahren (Expedited Procedure Rules) eingeführt.

Opt-out möglich

Die Expedited Procedure Rules gelten grundsätzlich für jedes ICC-Schieds­verfahren, dessen Streit­wert geringer ist als 2 Mill. Dollar, und zwar unab­hängig davon, ob die Parteien die Anwend­barkeit der Expedited Procedure Rules ausdrücklich vereinbart haben. Die ICC-Schieds­gerichts­ordnung sieht die Möglich­keit zum Opt-out aus den Regeln für beschleunigte Verfahren vor. Dies ist im Einver­nehmen der Parteien grund­sätzlich auch nach Einleitung eines beschleunigten Schieds­verfahrens möglich, was aller­dings regel­mäßig zu einer erheb­lichen Verzögerung des bereits eingeleiteten Verfahrens führen dürfte.

Beschleunigte Schiedsverfahren nach der ICC-Schieds­gerichts­ordnung zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass der Rechts­streit der Parteien grundsätzlich von einem Einzel­schieds­richter entschieden wird. Das gilt auch, wenn die Parteien in ihrer Schieds­vereinbarung ein Dreier­schieds­gericht vorgesehen haben. Insbe­sondere die Konstituierung des Schieds­gerichts kann eine Quelle für bisweilen erheb­liche Verzögerungen des Verfahrens sein. Haben die Parteien eines ICC-Schieds­verfahrens ein Dreier­schieds­gericht vereinbart, beträgt die Zeit zwischen Einleitung des Schieds­verfahrens und Konstituierung des Schieds­gerichts auch in Fällen, in denen die Benennung der Schieds­richter ohne Probleme verläuft, regel­mäßig mehr als einen Monat und oft deutlich mehr. Vor diesem Hinter­grund erscheint es folge­richtig, die Entscheidung durch einen Einzel­schieds­richter vorzusehen, der – soweit sich die Parteien nicht auf eine Person verständigen können, was in der Praxis nur selten der Fall sein dürfte, – vom ICC-Schieds­gerichtshof ernannt wird. Es stellt sich aber die Frage, ob es gerechtfertigt ist, das Recht zur Benennung eines Schieds­richters auf dem Altar der Beschleunigung von Schieds­verfahren zu opfern. Zwar müssen auch die von den Schieds­parteien benannten Schieds­richter unabhängig und unparteilich sein. Gleich­wohl wählen die Parteien „ihren“ Schieds­richter – legitimer­weise – nicht selten in der Erwartung aus, dass er – zum Beispiel aufgrund besonderer Fach- oder Rechts­kenntnisse – größeres Verständnis für die Position der ihn benennenden Partei zeigt. Entscheidungen eines Dreier­schieds­gerichts haben daher aus Sicht der Parteien tendenziell eine höhere Richtigkeits­gewähr als Entscheidungen eines Einzel­schieds­richters. Dies ist in der Schieds­gerichts­barkeit auch deshalb von besonderer Bedeutung, weil es anders als in der staat­lichen Gerichts­barkeit keine zweite Instanz gibt, die eine falsche Ent­scheidung korrigieren kann.

Den Expedited Procedure Rules liegt die unausgesprochene Annahme zu Grunde, dass Rechts­streitig­keiten mit einem geringeren Streit­wert weniger komplex oder weniger bedeutend sind und deshalb eher von einem Einzel­schieds­richter entschieden werden können. Dies ist aber nicht zwingend der Fall.

Die streitwert­abhängige Anwend­barkeit der Regeln für beschleunigte Verfahren dürfte daher in vielen Fällen, in denen die Parteien in ihrer ICC-Schieds­klausel ein Dreier­schieds­gericht vereinbart haben, zu einem bösen Erwachen führen, sobald es zum Streit kommt. Beispiels­weise wenn zwar ein hoher Schaden entstanden ist, der Kläger aber zunächst nur eine Teilklage erhebt, um das Kosten­risiko des Schieds­verfahrens zu begrenzen.

Die Katze im Sack

Zwar sieht die ICC-Schieds­gerichts­ordnung vor, dass der Gerichts­hof – auf Antrag einer Partei oder aus eigenem Antrieb – jederzeit während eines Verfahrens anordnen kann, dass die Regeln für beschleunigte Verfahren keine Anwendung mehr finden. Doch die Ersetzung des Einzelschieds­richters durch ein – erst neu zu konstituierendes – Dreier­gericht wird auch bei einem Wechsel ins reguläre ICC-Schieds­verfahren eine seltene Ausnahme sein und in jedem Fall zu Verzögerungen führen.

Wollen sie nicht die Katze im Sack kaufen, müssen Vertrags­parteien daher, bevor sie eine ICC-Schieds­klausel in ihren Vertrag aufnehmen, künftig sorgfältig abwägen, ob die Streitig­keiten, die aus dem Vertrag entstehen können, sich für eine Entscheidung im beschleunigten Verfahren durch einen Einzel­schieds­richter eignen oder besser ein Opt-out aus den Regeln für beschleunigte Verfahren gewählt werden sollte.

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