Maßvolle Anpassungen im Governance-Kodex

Institutionelle Anleger sollen Eigentumsrechte aktiv ausüben – Rolle des Aufsichtsratsvorsitzenden gestärkt

Die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex (DCGK) überprüft jährlich den Änderungsbedarf im Kodex, der Grundsätze „guter Unternehmensführung“ für börsennotierte Unternehmen aufstellen will. Der Kodex enthält beschreibende Teile, die die Gesetzeslage wiedergeben, sowie Anregungen und Empfehlungen. Börsennotierte Unternehmen müssen jährlich im Rahmen der Entsprechens­erklärung erklären, ob den Empfehlungen des Kodex entsprochen wurde oder nicht und warum nicht. Die Kodex-Kommission hat jüngst ihre Änderungsvorschläge für 2017 veröffentlicht. Sie sind insgesamt maßvoll und wenig spektakulär. Drei Vorschläge stechen indes heraus.

Wächterfunktion

Neu aufgenommen werden soll eine Bestimmung, wonach insbesondere institutionelle Anleger angehalten sind, ihre Eigentumsrechte aktiv und verantwortungsvoll im Rahmen eines „konsistenten, transparenten und die Nachhaltigkeit berücksichtigenden Regelwerks auszuüben“. Die Kodex-Kommission begründet diese Änderung damit, dass die Aktionäre zunehmend als „Wächter“ einer ausdifferenzierten Corporate Governance gesehen würden. Da es auch auf europäischer Ebene (EU-Aktionärsrichtlinie) Überlegungen gebe, die Aktionäre langfristig einzubinden, solle der DCGK die Entwicklung nunmehr proaktiv aufnehmen. Dem diene der „Appell“, dass Anleger ihre Eigentumsrechte in entsprechender Weise auszuüben hätten.

Begrüßenswert nimmt die Kommission mit dem Änderungsvorschlag zwar nicht gerade „proaktiv“, sondern eher nachlaufend ein Thema auf, welches in den USA, zunehmend aber auch in Deutschland börsennotierte Gesellschaften beschäftigt: Das Stichwort lautet Activist Shareholder und das Phänomen besteht darin, dass die Aktionäre unter Nutzung ihrer gesellschaftsrechtlichen Möglichkeiten Einfluss auf die Unternehmen auszuüben versuchen. Die Bandbreite an Motivation, Durchsetzungswille und Methoden der Aktionäre ist enorm. Der Fall Stada war dieses Jahr ein prominentes Beispiel für solchen Activism.

Der konkrete Änderungsvorschlag ist aber verunglückt. Er ist, wie die Kommission selbst schreibt, nicht mehr als „Appell“, und zwar ein ziemlich unklarer Appell. Schon systematisch ist die vorgeschlagene Änderung ein Fremdkörper im Kodex, weil sie weder Anregung noch Empfehlung noch eine (zutreffende) Beschreibung der Rechtslage ist. Man fragt sich, welche Verbindlichkeit es hat, wenn Anleger durch den Kodex zu etwas „angehalten“ werden. Ist es in der Sache wirklich richtig, die Anleger aufzufordern, ihre Eigentumsrechte „aktiv und verantwortungsvoll“ auszuüben? Gehört es nicht zur Freiheit des Eigentums, sich als Anleger „rational apathisch“ zu verhalten? Und woher soll das auf „Konsistenz, Transparenz und Nachhaltigkeit“ ausgerichtete Regelwerk für institutionelle Anleger kommen? Hier ist noch zu vieles unausgegoren, um den Kodex in dieser Form zu ändern. Die Corporate Governance notierter Unternehmen wird durch solche Appelle nicht besser.

In Form einer Empfehlung schlägt die Kommission eine neue Regelung vor, wonach der Aufsichtsratsvorsitzende in angemessenem Rahmen bereit sein soll, mit Investoren über aufsichtsratsspezifische Themen Gespräche zu führen. Als solche Themen werden Gegenstände gesehen, für die der Aufsichtsrat (AR) allein verantwortlich ist und die von ihm allein zu entscheiden sind. Bei Fragen, die gemeinsam von Vorstand und AR zu entscheiden sind, sollen Gespräche entweder allein vom Vorstand oder vom AR-Vorsitzenden zusammen mit dem Vorstand geführt werden. Diesen Änderungsvorschlag begründet die Kommission damit, dass Gespräche des AR-Vorsitzenden mit Investoren vom Gesetz nicht verboten und mittlerweile gelebte Praxis seien. Außerdem hätten die Investoren sonst keinen Gesprächs­partner für die spezifischen AR-Themen. Gleichzeitig beseitige die neue Empfehlung bestehende Rechtsunsicherheiten.

Mit dieser Empfehlung nimmt die Kommission ein „heißes Eisen“ auf, das derzeit die Corporate-Governance-Diskussion dominiert. Angestoßen wurde die Diskussion durch eine Initiative aus AR-Kreisen und Beraterindustrie, welche darauf abzielte, die Stellung der AR-Vorsitzenden gegenüber dem Vorstand zu stärken. Allerdings ist die rechtliche Zulässigkeit solcher Gespräche entgegen der Beteuerung der Kommission keineswegs unumstritten, und die Debatte hierzu ist gerade erst in Gang gekommen. In der Sache geht die neue Empfehlung über den angemessenen Umfang einer direkten Kommunikation des Aufsichtsrats mit den Aktionären hinaus. Ist es wirklich gewollt, dass der AR-Vorsitzende etwa Personalien der Vorstandsbesetzung mit den Investoren (mit allen?) bespricht oder – wenn auch gemeinsam mit dem Vorstand – seine Sicht zur Strategie des Unternehmens darlegt? Was bedeutet das für die Vertraulichkeit der AR-Beratung?

Diese Empfehlung birgt die erhebliche Gefahr, dass Investoren zur Unterstützung eigennütziger Pläne einen Keil zwischen Vorstand und Aufsichtsrat treiben. Zudem kann für Aufsichtsrats­vorsitzende ein Haftungsrisiko drohen, wenn sie in Überschreitung der Überwachungs- und Beratungs­kompetenz des AR mit einzelnen Aktionären über die Belange des Unternehmens sprechen.

Widersprüchlich

Es ist im Übrigen auch widersprüchlich, wenn der Änderungs­vorschlag einerseits für rechtlich zulässig erklärt, andererseits aber gerade damit begründet wird, er solle die (Rechts-)Unsicherheit beseitigen. Die Kommission verfehlt ihre Aufgabe, wenn sie versucht, rechtliche Zweifelsfragen zu klären – das ist Aufgabe des Gesetz­gebers und der Gerichte. Der Kodex darf Grundsätze guter Unternehmens­führung immer nur im Rahmen geltenden Rechts aufstellen. Der Versuchung, sich als Ersatz­gesetz­geber zu betätigen, erliegt die Kommission leider auch an anderer Stelle. Obwohl das neue Recht die Unabhängigkeit des Prüfungs­ausschuss­vorsitzenden nicht mehr fordert, hält der Kodex daran fest. Den Wegfall gesetzlicher Quartals­berichte (Rückbau kurzfristiger Unternehmens­ziele) kompensiert der Kodex jetzt mit der Empfehlung, zwischen Jahres­abschluss und Halbjahres­finanzbericht „in geeigneter Form über wesentliche Veränderungen der Geschäfts­aussichten“ zu informieren.

Wenn Vorstandsmitglieder vorzeitig aus dem Amt abberufen werden, werden ihre vertraglichen Ansprüche in aller Regel in Form einer Abfindung abgegolten. Es ist eine der relevantesten Empfehlungen des Kodex, dass die Abfindung zwei Jahres­vergütungen nicht überschreiten darf. Die Praxis kann hiermit gut leben. Zu dieser Praxis gehört das Prinzip, dass in den meisten Fällen ein klarer Schnitt gemacht, die Abfindung also in einer Summe ausgezahlt wird.

Das wird nach Vorstellung des DCGK künftig nicht mehr möglich sein, denn mehrjährige, variable Vergütungs­bestandteile, die in die Berechnung der Abfindung einbezogen werden, sollen nach einer neuen Empfehlung nicht mehr vorzeitig ausbezahlt werden. Der Gedanke ist, dass sogenannte Malus-Regelungen in langjährigen variablen Vergütungen nicht durch die Einmal­zahlung ausgehöhlt werden sollen.

Diese Änderung des Kodex ist ohne Zweifel rechtlich zulässig, system­gerecht und auch in der Sache vertretbar. Zu wünschen wäre freilich, dass diese Empfehlung (wie es auch die Begründung nahelegt) nur für solche Long-Term-Incentive-Programme gilt, welche auch tatsächlich eine Malus-Komponente enthalten. Das ist in der Praxis keineswegs immer der Fall. Es wäre misslich, wenn in anderen Fällen die Beteiligten künftig nicht mehr in der Lage sein sollten, den gewünschten klaren Schnitt zu machen, oder die Gesellschaft insoweit eine Abweichung von der (überschießend formulierten) Kodexempfehlung erklären müsste. Andreas Austmann und Georg Seyfarth

(veröffentlicht in der Börsenzeitung vom 26. November 2016)