Entwurf eines Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht

Gesellschafts­rechtliche Regelungen

Die Schutzmaßnahmen zur Vermeidung der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie, insbesondere die Beschränkungen der Ver­sammlungs­möglichkeiten, stellen Unter­nehmen, Vereine und Stiftungen zunehmend vor große Heraus­forderungen, die eigene Handlungs­fähigkeit durch notwendige Versammlungs­beschlüsse sicherzustellen. Dies gilt sowohl für die jährlich abzuhaltenden ordentlichen Versammlungen, etwa zur Beschluss­fassung über die Gewinn­verwendung oder die Bestellung von Organen, als auch für notwendige außer­ordentliche Versammlungen. Letzteren kann gerade in Zeiten, wie sie derzeit be­stehen, eine besondere Bedeutung zukommen. Der von der Bundesregierung vorbereitete Gesetz­entwurf will daher die Durchführung von (Haupt-)Versamm­lungen erleichtern und damit die erforderlichen Beschluss­fassungen ermöglichen. Die Modifikationen gelten für alle ordentlichen sowie außerordentlichen (Haupt-)Versammlungen, sind jedoch – vorbehaltlich ihrer etwaigen Ver­längerung – zeitlich auf das Jahr 2020 beschränkt.

Regelungen betreffend AG, KGaA und SE

Erleichterungen für die Teilnahme an der Haupt­versammlung sowie die Ausübung von Aktionärs­rechten. Das Aktien­gesetz kennt bereits heute verschiedene Möglich­keiten für eine Teilnahme an der Haupt­versammlung und die Ausübung von Aktionärs­rechten ohne physische Präsenz. Erforderlich ist jedoch stets eine Ermächtigung durch die Satzung. Das will der Gesetz­entwurf ändern. Die folgenden Maßnahmen soll der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichts­rats auch dann anordnen können, wenn die Satzung keine entsprechende Satzungs­regelung enthält:

  • die Teilnahme der Aktionäre an der Haupt­versammlung sowie die Ausübung von Aktionärs­rechten im Wege elektronischer Kommunikation (elektronische Teil­­nahme), wobei der Vorstand den Umfang der Rechte­ausübung festlegen kann;
  • die Stimmabgabe im Wege elektronischer Kommunikation („Briefwahl“); 
  • die Teilnahme von Mit­gliedern des Aufsichts­rats im Wege der Bild- und Ton­übertragung; sowie
  • die Zulassung von Bild- und Ton­übertragungen der Ver­sammlung.

Virtuelle Hauptversammlung. Noch einen großen Schritt weiter geht der Gesetz­geber mit der Ermöglichung einer virtuellen Haupt­versammlung. Der Vorstand kann mit Zustimmung des Aufsichts­rats die Durch­führung einer virtuellen Haupt­versammlung anordnen, wenn vier Voraus­setzungen erfüllt sind:

  1. Es muss eine Bild- und Ton­übertragung der gesamten Ver­sammlung erfolgen, also einschließlich der General­debatte und der Ab­stimmungen. Ein technisch ungestörter Ablauf der Über­tragung sowie eine Empfangs­möglichkeit bei jedem Aktionär wird hierbei nicht verlangt.
  2. Die Stimm­rechtsausübung der Aktionäre muss über elektronische Kommunikation (elektronische Teil­nahme und/oder Briefwahl) sowie Vollmachts­erteilung ermöglicht werden. Ermöglicht die Gesell­schaft keine elektro­nische Teilnahme, stehen den ­Aktionären in der Haupt­versammlung keine Antrags­rechte zu. Sie können dann weder Sach- noch Verfahrens­anträge stellen.
  3. Die Aktionäre müssen Fragen auf elektro­nischem Wege stellen können. Ein Recht auf Auskunft soll damit nicht verbunden sein. Über die Zu­lassung und die Be­antwortung der auf elektronischem Weg gestellten Fragen entscheidet vielmehr – abweichend von § 131 AktG – der Vorstand nach pflichtgemäßem, freiem Ermessen. Der Vorstand kann daher eine Auswahl bestimmter Fragen im Aktionärs­interesse vornehmen, wo­bei er auch Fragen von Aktionärs­ver­einigungen und institut­ionellen Investoren mit bedeutenden Stimm­anteilen bevorzugen kann. Zudem soll eine zusammen­fassende Beantwortung explizit möglich sein. Um die praktische Hand­habung sicher­zustellen, kann der Vorstand ferner bestimmen, dass Fragen spätestens zwei Tage vor der Ver­sammlung elektronisch an eine angegebene E-Mail geschickt werden müssen. 
  4. Aktionäre, die ihr Stimm­recht nach dem zuvor beschriebenen Verfahren (unter Nr. 2) ausüben, muss die Möglichkeit des Widerspruchs gegen einen Beschluss der Haupt­­versammlung ohne persönliches Erscheinen sowie Erklärung zur Nieder­schrift ermöglicht werden. Hierfür dürfte es insbesondere ausreichend sein, wenn die Aktionäre einen Widerspruch per E-Mail an den Notar übermitteln können.


Einschränkung des Anfechtungs­rechts der Aktionäre. Mit der Umsetzung der Erleichterungen werden die Gesellschaften regelmäßig Neuland betreten. Damit sind notwendigerweise insbesondere auch technische Umsetzungs­risiken verbunden. Diese könnten Unternehmen davon abhalten, die Erleichterungen in Anspruch zu nehmen. Dem will der Gesetz­geber vorbauen und schränkt daher das Anfechtungsrecht für Aktionäre weitgehend ein. Eine Anfechtungsklage kann grundsätzlich nicht auf Verletzungen im Hinblick auf die Teilnahme an der Hauptversammlung oder die Aktionärsrechteausübung auf elektronischem Wege oder der Durchführung einer ausschließ­lich virtuellen Haupt­versammlung gestützt werden. Auch eine Anfechtung im Zusammen­hang mit der eingeschränkten Auskunfts­pflicht der Verwaltung soll grundsätzlich ausgeschlossen sein. Davon ausgenommen bleiben vorsätzliche Pflichtverstöße der Gesellschaft. Bezugspunkt des Vorsatzes soll bei der Erfüllung der eingeschränkten Auskunfts­pflicht nach dem Entwurf wohl nicht der Umstand sein, dass einzelne Fragen nicht beantwortet werden; das ist der gesetzlichen Einschränkung des Auskunfts­rechts immanent. Bezugs­punkt kann vielmehr nur sein, dass der Vorstand bei der Ent­scheidung über Zulassung und Beantwortung von Fragen vorsätzlich sein pflichtgemäßes Ermessen verletzt. Aufgrund der Formulierung („es sei denn, der Gesellschaft ist Vorsatz nach­zuweisen“) liegt dabei die Beweis­last für den Vorsatz zudem bei dem klagenden Aktionär.


Verkürzung der Einberufungs­frist. Die Unternehmen können Haupt­versammlungen mit einer verkürzten Frist von 21 Tagen (statt mindestens 30 Tagen) vor dem Tag der Hauptversammlung einzuberufen, und die Einberufungs­frist verlängert sich – anders als es § 123 Abs. 2 Satz 5 AktG vorsieht – nicht um die Tage einer Anmeldefrist. Macht die Gesellschaft von dieser Möglichkeit Gebrauch, verschieben sich infolgedessen auch die weiteren relevanten Stichtage vor der Hauptversammlung:

  • Ergänzungs­verlangen zur Tages­ordnung müssen mindestens 14 Tage (statt 24 bei nicht börsennotierten bzw. 30 bei börsen­notierten Gesell­schaften) vor der Ver­sammlung der Gesell­schaft zugehen.
  • Der Nachweis des Anteils­besitzes bezieht sich auf den Beginn des 12. Tages (statt des 21. Tages) vor der Ver­sammlung. Er muss bei Inhaberaktien der Gesellschaft spätestens am 4. Tag (statt am 7. Tag) vor der Versammlung zugehen, sofern nicht eine kürzere Frist in der Haupt­versammlungs­einladung vorgesehen ist. Hiervon abweichende Satzungs­bestimmungen sind unbeachtlich. Leider enthält der Entwurf keine Verkürzung für den Zugang der Anmeldung durch die Aktionäre bei der Gesellschaft. Die Anmeldung ist regelmäßig Teilnahme­voraussetzung und muss der Gesellschaft grundsätzlich spätestens sechs Tage vor der Hauptversammlung zu­gehen. Eine Verkürzung dieser Frist ist – anders als für den Zugang des Nachweises – im Gesetz­esentwurf nicht vorgesehen. Bei Gesell­schaften, deren Satzung keine Verkürzung der Anmelde­frist erlaubt, würde damit zwingend die Anmeldefrist von mindestens sechs Tagen gelten. Das führt zwar nicht zu einer entsprechenden Verlängerung der Einberufungs­frist (s. oben), aber zu unterschiedlichen Fristen für den Zugang von Anteilsnachweis und Anmeldung.
  • Bei der Ausgabe von Inhaberaktien erfolgen Mitteilungen an Intermediäre und Aktionäre nach § 125 Abs. 1 Satz 1 AktG mindestens 12 Tage (statt mindestens 21 Tage) vor der Versammlung.
  • Mitteilungen nach § 125 Abs. 2 AktG sind bei der Ausgabe von Namensaktien an die zu Beginn des 12. Tages (statt zu Beginn des 21. Tages) vor der Versammlung im Aktienregister Eingetragenen vorzunehmen.


Verlängerung der Frist für das Abhalten der ordentlichen Haupt­versammlung.
Weitere Flexibilität wird den Unternehmen bei der Festlegung des Termins der ordentlichen Haupt­versammlung im Jahr 2020 eingeräumt. Die ordentliche Haupt­versammlung muss nicht innerhalb von acht Monaten seit Ablauf des Geschäftsjahres statt­finden; vielmehr genügt es, wenn sie innerhalb des Geschäftsjahres durchgeführt wird. Das gilt auch dann, wenn die ordentliche Haupt­versammlung im Zeitpunkt des Inkraft­tretens des Gesetzes bereits einberufen worden ist; dann ist eine Verschiebung auf einen späteren Zeitpunkt innerhalb des Geschäftsjahres möglich. Eine Haftung des Vorstands nach § 93 Abs. 2 AktG ist in diesen Fällen aus­geschlossen. Auf die SE finden diese Erleichterungen aufgrund europäischer Vorgaben jedoch keine Anwendung; hier bleibt es bei der 6-Monatsfrist. Sofern Gesellschaften ein vom Kalenderjahr abweichendes Geschäftsjahr haben, darf die Frist­verlängerung auf das gesamte Geschäfts­jahr gleichwohl nicht über den 31. Dezember 2020 hinauswirken. Der Gesetz­entwurf beschränkt sich insoweit – vor­behaltlich einer etwaigen Ver­längerung – auf Haupt­­versammlungen im Jahr 2020.


Abschlagszahlungen auf den Bilanzgewinn ohne Satzungsermächtigung
Einer der Gründe, warum einzelne Gesellschaften auch in der aktuellen Situation ihre ordent­liche Haupt­versammlung alsbald durchführen wollen und müssen, besteht darin, dass die Aktionäre über die Gewinnverwendung beschließen müssen, bevor eine Dividende ausgezahlt werden kann. Daher will der Gesetzentwurf die Voraussetzungen für Ab­schlags­­zahlungen auf den Bilanzgewinn ohne einen Aktionärs­beschluss lockern. Zu diesem Zweck soll das Erfordernis einer Satzungs­regelung, welche den Vorstand zu Abschlagszahlungen ermächtigt, aufgehoben werden. Die übrigen in § 59 AktG enthaltenen Voraussetzungen für Abschlags­zahlungen bleiben hingegen unberührt. Danach muss der (vorläufige) Jahres­abschluss für das abgelaufene Geschäfts­jahr einen Jahres­überschuss ausweisen und darf die Abschlagszahlung auch dann, wenn der testierte Jahresabschluss bereits vorliegt, nicht mehr als 50 % des Jahres­überschusses für das abgelaufene Geschäfts­jahr und nicht mehr als 50 % des vorjährigen Bilanz­gewinns übersteigen. Zahlungen auf den für vorläufigen Bilanz­gewinn des laufenden Geschäftsjahres, also eine echte Zwischen­dividende, sind und bleiben nicht möglich.


Entscheidung über die Inanspruch­nahme der Er­leichterungen. Die Entscheidung, ob die Gesellschaft die neuen Erleichterungs­möglich­keiten in Anspruch nehmen wird, trifft der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats. Der Aufsichts­rat kann seine Zustimmung, ungeachtet bestehender Regelungen in Satzung oder Geschäfts­ordnung, ohne physische Anwesenheit der Mitglieder auch schriftlich, fern­mündlich oder in vergleichbarer Weise vornehmen. Für die deutsche monistische SE, die nicht über einen Aufsichtsrat verfügt, werden die Ent­scheidungen durch den Verwaltungsrat getroffen.


Geltung für börsennotierte und nicht-börsennotierte Gesell­schaften. Die Regelungen gelten für AG, KGaA und SE unabhängig davon, ob ihre Aktien zum Handel im regulierten Markt zugelassen sind oder nicht.
 

Umwandlungs­rechtliche Regelung

Verlängerung der Anmeldefrist beim Handelsregister auf zwölf Monate.
Ergänzend zur Verlängerung der Frist für das Abhalten der ordentlichen Hauptversammlung sieht der Entwurf für Verschmelzungen und Spaltungen nach dem Umwandlungsgesetz eine Ver­längerung der Höchstfrist für die Anmeldung zur Eintragung in das Handels­register bezogen auf den davorliegenden Stichtag der Schlussbilanz des über­tragenden Rechtsträgers von acht Monaten auf zwölf Monate vor (§ 17 Abs. 4 Satz 2 UmwG). Dies soll für alle Anmeldungen im Jahr 2020 gelten. Der Entwurf enthält keine entsprechende Verlängerung der korrespondierenden umwandlungssteuerlichen Fristen im Falle von Sacheinlagen im Sinne des UmwStG (s. § 20 Abs. 6 Satz 1 und 2 UmwStG). Das dürfte darauf beruhen, dass steuerliche Regelungen im Zusammenhang mit der COVID-19-­Pandemie wohl in einem gesonderten Gesetz geregelt werden sollen. Dort dürften dann auch die umwandlungssteuerlichen Fristen verlängert werden; anderen­falls würde die Verlängerung der Frist in § 17 Abs. 4 Satz 2 UmwG in Bezug auf Verschmelzungen und Spaltungen gegen Gewährung von Anteilen der übernehmenden Gesellschaft, die durch eine Kapitalerhöhung geschaffen werden, leerlaufen.
 

Regelungen betreffend andere Gesellschafts­formen

GmbH – Gesellschafterbeschlüsse in Textform ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter. Abweichend von § 48 Abs. 2 GmbHG sollen Beschlüsse in Textform oder durch schriftliche Stimmabgabe nicht mehr das Einverständnis sämtlicher Gesellschafter voraussetzen.

VVaG. Die oben dargestellten Erleichterungen für die AG sollen auch auf den VVaG (im Sinne von § 171 VAG) Anwendung finden, soweit die aktienrechtlichen Vorschriften, auf die sich die Erleichterungen beziehen, für den VVaG gelten.

Genossenschaften, Vereine, Stiftungen. Der Gesetzentwurf sieht auch für Genossenschaften, Vereine und Stiftungen Erleichterungen bei Versammlungen und Beschlussfassungen bspw. durch die Ermöglichung elektronischer Kommunikation auch ohne Satzungsermächtigung vor. Daneben sollen Vorstandsmitglieder vorübergehend nach Ablauf ihrer Amtszeit im Amt bleiben, bis Nachfolger bestellt sind. Auf diese Weise sollen Notbestellungen durch Gerichte vermieden und die Handlungsfähigkeit gewahrt werden, wenn aufgrund von Beschränkungen durch COVID 19 nicht rechtzeitig Nachfolger bestellt werden können.
 

Verlängerung der Erleichterungen

Verordnungsermächtigung. Der Gesetzentwurf enthält eine Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, die oben genannten Erleichterungen durch Rechtsverordnung bis höchstens 31. Dezember 2021 zu verlängern, wenn dies aufgrund fortbestehender Auswirkungen der Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus in Deutschland geboten erscheint.