Update für Kapitalverwaltungsgesellschaften in der Corona-Krise

Die aktuellen Marktverwerfungen aufgrund der Covid-19-Pandemie stellen auch Kapital­verwaltungsgesellschaften vor große Herausforderungen: Die Geschäftsorganisation wird oftmals über Notfallpläne und Home-Office-Regelungen aufrechterhalten. Zudem erschweren stark schwankende Börsenkurse die Portfolioallokation und führen zu Liquiditäts­risiken, die im besten Interesse der Anleger gesteuert werden müssen. Krisenmanagement ist Chefsache und beansprucht die gesamte Ablauforganisation.
Der deutsche Gesetzgeber und die Aufsichtsbehörden reagieren ebenfalls auf die be­sonderen Marktumstände: Zunächst betonen die BaFin und die ESMA, dass Kapitalverwaltungsgesellschaften alle zur Verfügung stehenden Instrumente des Risiko- und Liquiditätsmanagements ausschöpfen sollen.1 Gleichzeitig gewähren sie einige Erleichterungen wie etwa bei passiven Anlagegrenzverletzungen oder bei Geschäftsabschlüssen im Home-Office. Ein wichtiger Schritt ist außerdem, dass Kapitalverwaltungsgesellschaften neue Liquiditätsinstrumente zur Verfügung gestellt wurden, die zusammen mit anderen Gesetzesvorhaben zur Abmilderung der Corona-Krise am 27. März 2020 im Bundesgesetzblatt verkündet wurden und bereits in Kraft getreten sind.2 

Steuerungsinstrumente für das Liquiditätsmanagement

Die Liquiditätstools sind in Deutschland im Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) verankert und wurden kürzlich durch Artikel 5 des o.g. Änderungsgesetzes erweitert. Die Regelungen ergänzen einerseits den Anwendungsbereich bestehender Liquiditätsinstrumente und schaffen andererseits neue Instrumente, die in anderen EU-Ländern bereits seit langem angewendet werden.3  

Welche Steuerungsinstrumente stehen Kapitalverwaltungsgesellschaften bei offenen Fonds zur Verfügung?

  • Rücknahmesperren (Redemption Gates): Die Erfüllung von Rückgabeverlangen von Anlegern kann neuerdings bei bestimmten liquiden Fondstypen kurzzeitig auf­ge­schoben werden. Dadurch soll ein effektives Liquiditätsmanagement sowie ein geordneter Verkauf von Vermögensgegenständen ermöglicht werden. Der Einsatz von Rücknahmesperren ist auf 15 Tage beschränkt. Voraussetzung ist, dass die Rück­gabeverlangen einen zuvor festgelegten Schwellenwert erreichen, ab dem die Rück­gabeverlangen aufgrund der Liquiditätssituation der Vermögensgegenstände nicht mehr im Interesse der Gesamtheit der Anleger ausgeführt werden können. Redemption Gates gelten als wirksames Kriseninstrument, dessen Implementierung von der BaFin grundsätzlich sogar erwartet wird. Dem Vernehmen nach müssen zwingende Gründe dafür vorliegen, falls die Möglichkeit zum Einsatz von Redemption Gates nicht in den Anlagebedingungen vereinbart wird.
  • Festlegung von Rückgabetermine und -fristen: Das KAGB eröffnete bereits vor der jüngsten Gesetzesänderung vereinzelt die Möglichkeit, dass Anteilsrückgaben nur zu festgelegten Rückgabeterminen sowie unter Einhaltung bestimmter Rückgabefristen erfolgen dürfen (Redemption Notices/Periods). Dieses Instrument wurde nun auf OGAW, Gemischte Investmentvermögen und bestimmte Spezialfonds erweitert. Die Häufigkeit der zulässigen Rückgabetermine sowie die Dauer der Rückgabefristen unterscheidet sich nach dem konkreten Fondstyp: Zum Beispiel sind Rückgaben bei Offenen Immobilien-Sondervermögen mit einer Frist von zwölf Monaten zulässig, während bei OGAW nun eine Rückgabefrist von maximal einem Monat Anwendung findet. Die Festlegung von Rückgabeterminen und -fristen steht zwar im pflichtgemäßen Ermessen der Kapitalverwaltungsgesellschaft, sie sind jedoch als dauerhafte Maßnahme in das Liquiditätsmanagementsystem zu integrieren. Zu beachten ist auch, dass die zurückzugebenden Anteile bis zur tatsächlichen Rückgabe von der depotführenden Stelle zu sperren sind.
  • Anwendung von Swing Pricing: Im Fall außergewöhnlich vieler Rückgabeverlangen können Kapitalverwaltungsgesellschaft gezwungen sein, Vermögensgegenstände des Fonds zu veräußern, um ihren Rückgabepflichten nachzukommen (Notverkäufe). Das neu eingeführte Swing Pricing ermöglicht, dass die beim Verkauf entstehenden Transaktionskosten bei der Anteilswertberechnung mindernd oder erhöhend berücksichtigt werden (modifizierter Nettoinventarwert). Beispielsweise sinkt der Rücknahmepreis, wenn außergewöhnlich viele Anleger ihre Fondsanteile zurückgeben wollen. Dies führt zu einer verursachergerechten Verteilung der Transaktionskosten und stabilisiert das Liquiditätsmanagement. Im Rahmen ihrer Organisationspflichten sollten ­möglichst detaillierte Swing Pricing-Verfahrensbeschreibungen ausgearbeitet und in die Fonds­dokumentation implementiert werden (etwa bzgl. vollständigem oder partiellem Swing-Pricing). 
  • Aussetzung der Anteilsrücknahme: Solange die Rücknahme ausgesetzt ist, dürfen keine Anteile ausgegeben werden. Die Aussetzung von Anteilsrücknahmen gilt als „­ultima ratio“ in einer Liquiditätskrise und war bereits vor der jüngsten Gesetzes­änderung möglich. Dieses Instrument kann von Kapitalverwaltungsgesellschaften und von der BaFin eingesetzt werden, wenn außergewöhnliche Umstände dies im Anlegerinteresse rechtfertigen: beispielsweise bei Börsenschließungen, sofern etwa eine korrekte Ermittlung des Anteilswerts nicht mehr möglich ist, oder wenn Ver­mögens­werte nur zu unangemessenen Preisen veräußert werden können. Eine Kapitalverwaltungsgesellschaft muss über die Aussetzung der Anteilsrücknahme unverzüglich informieren. Aussetzungen können allerdings mit hohen Reputationseinbußen der Kapitalverwaltungsgesellschaft einhergehen und sind oftmals mit Wohlfahrtskosten für die Anleger verbunden, da diese ihre Anteile nicht liquidieren können, obwohl die Marktwerte weiter sinken.

Die Liquiditätsinstrumente können mit Blick auf bestimmte Schwellenwerte unterschiedlich ausgestaltet sein und gelten auch nur für bestimmte Fondstypen. Beispielsweise ist der Einsatz von kurzfristigen Rücknahmesperren (Redemption Gates) nur bei OGAW, Gemischten Investmentvermögen und Spezialfonds vorgesehen, während etwa Swing Pricing bei allen offenen Fondstypen, außer bei Offenen Immobilien-Sondervermögen, gestattet ist.

Wie können die neuen Liquiditätsinstrumente implementiert werden?

Der Einsatz von Krisen- und Liquiditätsinstrumenten liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Kapitalverwaltungsgesellschaften. Bei ihrer Ermessensausübung sind insbesondere die Anlegerinteressen, die Anlagestrategie sowie die Liquidität der Vermögensgegenstände zu berücksichtigen. 

Um die neuen Instrumente zu implementieren, müssen die Fondsdokumentation und ins­besondere die Anlagebedingungen sowie der Verkaufsprospekt angepasst werden. Dies er­fordert in Abhängigkeit von der jeweiligen Fondstruktur die Genehmigung der BaFin sowie je nach Vertragsgestaltung weitere interne Beschlüsse etwa des Beirats oder Aufsichts­rats. Um einen reibungslosen Einsatz, etwa von Redemption Gates, zu gewährleisten, sollten sich Kapitalverwaltungsgesellschaften außerdem mit den zuständigen Verwahrstellen und den Anlegern abstimmen. 

Dieser Prozess ist zeitaufwendig, sodass sich der Bundesverband Investment und Asset Management (BVI) und die BaFin derzeit über ein beschleunigtes Genehmigungsver­fahren für die Anpassung der Anlagebedingungen sowie etwa über Muster-Klauseln abstimmen. Wir erwarten diesbezüglich in naher Zukunft eine abschließende Verlautbarung. Die Liquiditätsinstrumente sind allerdings schon nach geltendem Recht zulässig, sodass mit dem Implementierungsprozess begonnen werden kann.

Folgende Fragestellungen sind aus unserer Sicht derzeit besonders relevant:

  • Sondieren der Lage: Welche Instrumente kommen für welche Fonds in Betracht? Wie sind die gesetzlichen und vertraglichen Rahmenbedingungen in der konkreten Fondsstruktur? 
  • Entscheidung für die Implementierung von Liquiditätsinstrumenten
    Welche Rechtsfolgen bewirkt der Einsatz von bestimmten Instrumenten? 
    Welche Instrumente werden von der Aufsicht prioritär erwartet? 
  • Herstellen der Einsatzmöglichkeit: Welche Schritte müssen getroffen werden, um die Instrumente erstens einsatzfähig zu machen und zweitens einzusetzen? Welche konkreten Voraussetzungen müssen erfüllt werden (Änderung von Anlagebedingungen und Verkaufsprospekten, Antragstellung bei der BaFin, Anlegerinformation, Vertrags­anpassungen)? Welche Abstimmungsmaßnahmen sollten mit der BaFin, der Verwahrstelle und ggf. den Anlegern getroffen werden? 

Passive Anlagegrenzverletzungen – flexibler Umgang durch BaFin

Der BVI berichtete darüber, dass sich die BaFin in der gegenwärtigen Situation für einen flexiblen Umgang bei passiven Anlagegrenzverletzungen ausspricht. Maßgabe bleibt dabei, dass das Anlegerinteresse gewahrt ist und die Grenzeinhaltung innerhalb eines ange­messenen Zeitraum von bis zu 20 Tagen erfolgt.

Hintergrund ist, dass außergewöhnliche Marktumstände dazu führen können, dass einige Fondsverwalter die Zusammensetzung des Wertpapierportfolios verändern wollen, auch um Verluste für die Anleger zu vermeiden. Die Portfolioallokation hat sich allerdings an den Anlagerichtlinien zu orientieren und die dort genannten Werte dürfen grundsätzlich nicht über- bzw. unterschritten werden. Die Steuerbehörden haben diesbezüglich zu er­kennen gegeben, dass nicht jede Anlagegrenzverletzung zu einem Verlust des Steuer­privilegs als Aktien- oder Mischfonds führt (Schreiben des BMF vom 21. Mai 2019). ­Passive Grenzverletzungen werden demnach regelmäßig als unwesentlich angesehen, wenn sie auf einer unbeabsichtigten oder unverschuldeten fehlerhaften Einstufung be­ruhen und der Investmentfonds unverzüglich nach Kenntnis der Grenzverletzung ihm mögliche und zumutbare Maßnahmen unternimmt, um die für ihn erforderliche Quote wiederherzustellen. Dabei soll es unschädlich sein, wenn ein Aktien- oder Mischfonds in einem Geschäftsjahr an insgesamt bis zu 20 einzelnen oder zusammenhängenden Geschäftstagen die Vermögensgrenzen unterschreitet (20-Geschäftstage-Grenze).

Dem Vernehmen nach können passive Anlagegrenzverletzungen aus Sicht der BaFin ebenfalls unschädlich sein, wohingegen eine aktive Investitionsentscheidung, die zur Verletzung von Anlagegrenzen führt, weiterhin nicht zulässig ist. Individuelle Einzelfälle können jedoch mit der BaFin erörtert werden, sofern dies aus Zeitgründen möglich ist. 

Geschäftsabschlüsse im Home-Office zulässig

Die BaFin verlangt in dem Rundschreiben KAMaRisk (01/2017), dass Geschäftsabschlüsse für das Investmentvermögen außerhalb der Geschäftsräume nur zulässig sind, wenn dies von der Kapitalverwaltungsgesellschaft klar geregelt und dokumentiert ist. In der gegen­wärtigen Situation kann es allerdings zu organisatorischen und technischen Pro­blemen führen, wenn Geschäftsabschlüsse kurzfristig und ausnahmsweise außerhalb der Geschäftsräume, zum Beispiel vom Home-Office aus, ausgeübt werden müssen. 

Aus diesem Grund können die strengen Regeln zu Geschäftsabschlüssen nach Ansicht der BaFin krisenbedingt vorübergehend für eine Home-Office-Regelung gelockert werden.4 Als Teil des Krisenmanagements eingerichtete dezentrale Arbeitsplätze im Bereich des Fondsmanagements sind grundsätzlich zulässig. Bei fehlender Zugangsmöglichkeit zu Büro- und Geschäftsräumen sei es nach der BaFin erforderlich, eine Alternative zu schaffen, um den Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten.

In dem Fall, dass Geschäfte außerhalb der Geschäftsräume (etwa im Home-Office) nach den unternehmensinternen Vorgaben bisher ausgeschlossen waren, sollte ein solches Verbot nun ausdrücklich aufgehoben werden. Es sollte dann klar beschrieben werden, unter welchen Bedingungen, sofern abschätzbar, über welchen Zeitraum die Home-­Office-Regelung gelten soll. Außerdem sind Kapitalverwaltungsgesellschaften verpflichtet, ein Notallkonzept festzulegen, um den Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten, dabei sind auch Regelungen zum Home-Office zu berücksichtigen.

Meldeschwelle für Leerverkaufspositionen: 0,1 Prozent 

Die ESMA hat am 16. März 2020 die Entscheidung5 getroffen, dass Netto-Leerverkaufs­positionen in Aktien, die am regulierten Markt zugelassen sind, bereits ab dem Eingangs­schwellenwert von 0,1 Prozent des ausgegebenen Aktienkapitals über das MVP Portal der BaFin mitzuteilen sind. Ausnahmen gelten für Market-Making Aktivitäten. Die Ent­scheidung der ESMA gilt zunächst für drei Monate und richtet sich auch an Kapital­ver­waltungsgesellschaften, die Hedge-Fonds verwalten und Leerverkaufstechniken an­wenden. Der Veröffentlichungsschwellenwert für eine Bekanntgabe über den Bundes­anzeiger liegt unverändert bei 0,5 Prozent. 

Hintergrund der Senkung des Eingangsschwellenwertes ist laut ESMA, dass die ­der­zeitigen massiven Kursbewegungen die Bildung von marktgerechten Preisen be­hindern und die Finanzmarktintegrität gefährden können. Leerverkäufe sind in diesem Zusammenhang geeignet, die Preisvolatilität zu beschleunigen und die Marktverluste zu verschärfen. Die Senkung der Meldeschwelle soll sicherstellen, dass alle zuständigen Aufsichtsbehörden in der EU über die nötigen Daten verfügen, um Markttrends zu überwachen und erforderlichenfalls weitere Maßnahmen, wie etwa ein Leerverkaufsverbot, zu ergreifen.
 

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1. ESMA recommends action by financial market participants for COVID-19, 11. März 2020.
https://www.esma.europa.eu/press-news/esma-news/esma-recommends-action-financial-market-participants-covid-19-impact

2. Gesetzes zur Einführung von Sondervorschriften für die Sanierung und Abwicklung von zentralen Gegenparteien und zur Anpassung des Wertpapierhandelsgesetzes an die Unterrichtungs- und Nachweispflichten nach den Artikeln 4a und 10 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012. 
Zum Bundesgesetzblatt Nr. 14, 27. März 2020: https://www.bgbl.de/xaver/bgbl

3. Eine (nicht aktuelle) Übersicht über die Verfügbarkeit der Liquiditätsmanagementinstrumente in der EU findet sich in den ­Empfehlungen des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken (ESRB/2017/6).
https://www.esrb.europa.eu/pub/pdf/recommendations/esrb.recommendation180214_ESRB_2017_6.en.pdf

4.    BaFin, geändert am 30. März 2020 zur Covid-19-Lage: Neue Entwicklungen und wichtige Informationen der BaFin
https://www.bafin.de/DE/Aufsicht/CoronaVirus/CoronaVirus_node.html

5.   https://www.esma.europa.eu/sites/default/files/library/esma70-155-9546_esma_decision_-_article_28_ssr_reporting_threshold.pdf