Organhaftung und D&O-Versicherung

Manager müssen ihr Amt mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes ausüben. Wenn sie diese Pflicht verletzen und ihrer Gesellschaft dadurch ein Schaden entsteht, haften sie der Gesellschaft. Diese Haftung wird als „Innenhaftung“ bezeichnet. Lange war sie eher theoretisch. Das ist heute anders, vor allem aus zwei Gründen: Zum einen hatte der Bundesgerichtshof (BGH) für die AG vor fast 20 Jahren im ARAG-Garmenbeck-Urteil entschieden, dass der Aufsichtsrat Ersatzansprüche der Gesellschaft gegen ein Vorstandsmitglied ernsthaft prüfen und in der Regel auch geltend machen müsse und hiervon nicht aus persönlicher Rücksichtnahme absehen dürfe. Zum anderen haben sich die Compliance-Anforderungen stets verschärft, und spätestens seit der Finanzkrise ist die Managerhaftung ein Thema, das Gemüter und Gerichte bewegt.

Es wundert daher nicht, dass sich die Manager („Directors & Officers“) schützen wollen. Das Mittel ist die D&O-Versicherung. Sie ist in Deutschland fast immer als eine von der Gesellschaft finanzierte Haftpflichtversicherung ausgestaltet, die den Organmitgliedern zugutekommt, indem sie ihnen Deckungsschutz bei der Abwehr von Haftungsansprüchen zusagt (also Anwaltskosten zahlt) und im Fall einer erfolgreichen Inanspruchnahme den Manager – unter Berücksichtigung eines etwaigen Selbstbehalts –freistellt. Versicherungsnehmerin ist die Gesellschaft, versicherte Personen sind die Manager. Der Versicherungsfall, der den Deckungsschutz auslöst, wird in den Versicherungsbedingungen regelmäßig definiert als schriftliche Inanspruchnahme der versicherten Person. Wie jede Haftpflichtversicherung ist die D&O-Versicherung auf eine maximale Ver-sicherungssumme begrenzt. Diese reicht von wenigen Millionen Euro bis hin zu einer halben Milliarde und mehr.

Angesichts solcher Versicherungssummen, die das Privatvermögen selbst gut verdienender Manager weit übersteigen, gerät die D&O in der Praxis in den Fokus der Haftungsgläubiger. Tatsächlich ist das aber oft mit Problemen verbunden, wie ein Fall zeigt, über den der BGH jüngst entschieden hat. In diesem Fall hatte eine GmbH dem Manager ein Anspruchsschreiben geschickt und sich von ihm den Deckungsanspruch gegen die Versicherung abtreten lassen. Geklagt hat die GmbH dann direkt gegen die Versicherung, aber nicht gegen den Manager persönlich. Sie zielte allein auf den Versicherungstopf, nicht auf das Privatvermögen des Managers. Mit diesem Vorgehen scheiterte die GmbH zunächst beim OLG. Das OLG meinte, ein Versicherungsfall liege nur dann vor, wenn der Manager "ernstlich" in Anspruch genommen werde, also nicht nur formal durch ein Schreiben, sondern mit einer Klage und Vollstreckung in das Privatvermögen. Dahinter steckt die Sorge, dass sich Gesellschaft und Manager auf einen Haftungsfall gewissermaßen verständigen, nur um an die Versicherungssumme zu kommen („friendly understanding“). Zudem könne der Manager den Deckungsanpruch nicht an die Gesellschaft abtreten.

Der BGH sieht die Dinge anders (Urt. vom 13.04.2016). Er hat in seiner Grundsatzentscheidung erstens festgestellt, dass es der GmbH grundsätzlich freistehe, auf welche Vermögenswerte des Managers sie zugreife. Sie dürfe auch ausschließlich auf die Versicherungsdeckung abzielen. Eine persönliche Inanspruchnahme des Managers sei nicht erforderlich. Zwar sieht auch der BGH das Problem eines „friendly understanding“, aber das rechtfertige keine über die Versicherungsbedingungen hinausgehende Voraussetzung für das Vorliegen eines Versicherungsfalls. Die Grenze des kollusiven Zusammenwirkens sei erst dann überschritten, wenn es Gesellschaft und Manager tatsächlich bewusst sei, dass der behauptete Schadensersatzanspruch nicht bestehe. Zweitens stellte der BGH fest, dass das Gesetz es verbiete, die Abtretung des Deckungsanspruchs an einen Dritten auszuschließen (§ 108 Abs. 2 VVG). Auch die Gesellschaft sei „Dritter“ in diesem Sinne. Zwar sei sie als Versicherungsnehmerin selbst Vertragspartei, aber es könne nicht unberücksichtigt bleiben, dass im deutschen Haftungssystem bei Managementfehlern in erster Linie die Gesellschaft mit der Innenhaftung einen Haftpflichtanspruch geltend mache.

Mit diesem Urteil hat der BGH den Rechtsrahmen der D&O-Versicherung verändert, was erhebliche Praxisfolgen haben kann. Drei Punkte: Erstens werden die Gesellschaften und Manager überlegen, ob sie schon im Dienstvertrag Regelungen zur Abtretung eines Deckungsanspruchs treffen. Zweitens werden die Versicherer sich überlegen, wie sie unter den neuen Vorgaben ihre Belange wahren können, etwa bei der Definition des Versicherungsfalls oder der Abwehr des Haftungsanspruchs, wo sie auf die Unterstützung des Managers angewiesen sind. Und drittens ist damit zu rechnen, dass Gesellschaften in Haftungsfällen, die auf der Grenze liegen, künftig schneller zu einer Geltendmachung neigen, weil es nunmehr möglich ist, den Streit allein mit der Versicherung zu führen. Es wird zu mehr Haftungsfällen kommen. Mehr als zuvor gilt daher die alte Versicherungsweisheit: Deckung schafft Haftung. Georg Seyfarth

(veröffentlicht in der Börsenzeitung vom 23. Juli 2016 unter dem Titel "Neuer Rechtsrahmen für D&O-Versicherungen")