Bundesverfassungsgericht bremst Staatsanwaltschaft im Dieselskandal

Informationen aus internen Untersuchungen müssen vor Zugriff geschützt sein


– Dirk Uwer und Ralf van Ermingen-Marbach, Börsen-Zeitung vom 29.07.2017 –

Im Zuge des „Dieselskandals“ durchsuchte die Staatsanwaltschaft München II im März die Büroräume der Anwaltskanzlei Jones Day. Deren Anwälte waren von Volkswagen anlässlich eines US-Ermittlungsverfahrens beauftragt worden, den Vorwurf der Abgasmanipulation im Wege einer Internal Investigation aufzuklären. Unter Berufung auf ihr Mandat verweigerten sie gegenüber den Münchener Strafverfolgern die Herausgabe der Unterlagen. Daraufhin stellten die Ermittler Akten und Daten aus der internen Untersuchung in den Kanzleiräumen sicher. Die Beschwerden der Betroffenen bei Amtsgericht und Landgericht München waren erfolglos. VW, die Kanzlei und drei ihrer Anwälte erhoben Verfassungsbeschwerde und beantragten beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eine einstweilige Anordnung. Ihr gaben die Karlsruher Richter jüngst statt und wiesen die Staatsanwaltschaft München an, die sichergestellten Unterlagen beim Amtsgericht versiegelt zu hinterlegen und einstweilig nicht auszuwerten.

Im Kartellrecht verbreitet

Die Frage, ob Ergebnisse aus internen Untersuchungen sichergestellt werden dürfen, beschäftigt die Juristen in der gesamten Republik. Interne Untersuchungen finden in Deutschland auch aus anderen Anlässen statt, im Kartellrecht sind sie seit langem verbreitet. Anwälte im europäischen Ausland stehen vor ähnlichen Problemen: So hat der High Court of Justice in London kürzlich entschieden, dass das Serious Fraud Office von einem Unternehmen Interviewnotizen herausverlangen durfte, die Anwälte bei internen Untersuchungen erstellt hatten.

Besteht der Verdacht von Straftaten, Kartellvergehen oder anderen Compliance-Verstößen, sind Unternehmen verpflichtet, die Vorwürfe aufzuklären. Dem dienen interne Untersuchungen unter Einschaltung von Anwalts­kanzleien. Parallel dazu müssen Unternehmen häufig externe Ermittlungen der Behörden in der Regel kooperativ begleiten. In beiden Fällen haben die Anwälte Mitarbeiter zu befragen, Akten bzw. Daten auszu­werten und Gutachten zu erstellen. Im Zuge einer internen Untersuchung entstehen also zahlreiche teils brisante Unterlagen.

Gerichte uneins

Wirksame Rechtsberatung können Anwälte nur leisten, wenn die gewonnenen Informationen vor staatlichem Zugriff geschützt sind. Zwar kann ein Unter­nehmen nicht wie eine Privat­person bestraft werden, es können jedoch sehr hohe Geldbußen verhängt und Gewinne abgeschöpft werden. Der Grundsatz, dass sich im Straf­prozess niemand selbst belasten muss, muss daher auch für Unternehmen gelten. Es fehlen jedoch klare gesetzliche Regelungen, so dass die Gerichte uneins sind, ob Ergebnisse aus internen Untersuchungen sichergestellt werden dürfen. So vertrat das Landgericht Hamburg im Fall HSH Nordbank 2010 die Ansicht, die Staatsanwaltschaft dürfe auf solche Unterlagen zugreifen auch in der Kanzlei des beauftragten Anwalts. Die Strafprozess­ordnung schütze nur das Mandats­verhältnis zwischen Strafverteidiger und Beschuldigtem. Dagegen entschied das Landgericht Braunschweig 2015 (nach geändertem Recht), die Resultate solcher Internal Investigations seien unabhängig vom Aufbewahrungsort dem staatlichen Zugriff entzogen, soweit sie der Verteidigung des Unternehmens dienen könnten. Eine Entscheidung des Bundes­gerichtshofs ist insoweit nicht zu erwarten, weil letztinstanzlich die Landgerichte über solche Durchsuchungen und Beschlagnahmen zu befinden haben.

Auch das BVerfG hat jetzt noch nicht entschieden, ob Ergebnisse aus internen Untersuchungen von Staatsanwälten sichergestellt werden dürfen. Es hat im Wege der einstweiligen Anordnung die Auswertung bis zur Entscheidung über die Verfassungs­beschwerden von VW, Jones Day und der betroffenen Anwälte untersagt. Die Karlsruher Richter haben die Folgen bei Erlass bzw. Unterbleiben der einstweiligen Anordnung gegeneinander abgewogen. Wäre keine einstweilige Anordnung ergangen und hätten die Verfassungs­beschwerden später Erfolg, könnte die Staats­anwaltschaft die sicher­gestellten Unterlagen zwischenzeitlich auswerten. Dies könnte das Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Anwälten irreparabel beeinträchtigen. Auch andere Mandanten könnten ihren Anwälten aus Sorge um ihre Geschäfts­geheimnisse gegebenenfalls das Mandat entziehen. Zudem wäre die Staatsanwaltschaft an Informationen, über deren Preisgabe VW bislang selbst entscheiden konnte, und an persönliche Daten Dritter gelangt. Bleiben die Verfassungs­beschwerden erfolglos, tritt durch die einstweilige Anordnung nur eine absehbare Verzögerung der staatsanwalt­schaftlichen Ermittlungen, aber kein Beweisverlust ein.

Die einstweilige Anordnung zeigt, dass die Karlsruher Richter die Verfassungs­beschwerden nicht für offensichtlich unbegründet halten. Das BVerfG wird bald Klarheit schaffen, in welchem Umfang das Mandatsverhältnis zwischen Anwälten und Unternehmen in internen Untersuchungen geschützt bleibt. 

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